Befrager:

Es gibt in Ihrer Gemeinde offenbar das Problem, daß Leute schleichend illegal ohne Grenzbaurecht und ohne Baubewilligung Bauten mitten auf einer Grenze errichten und seitens der Gemeinde wird trotz Intervenieren von Betroffenen nichts unternommen. Wie stehen Sie dazu?

Gemeinderat 1:

Das machts nichts. Sowas stört uns nicht.

Befrager:

Aber es gibt doch ein Baurecht. Wenn jeder, der schleichend Bauten errichtet, solche Bauten in dem Moment, da sie von Amts wegen vom amtlichen Geometer als Gebäude eingestuft werden, diese Bauten stehenlassen darf, dann könnte ja jeder einfach schleichend umbauen in Katzas und so ohne Grenzbaurecht und ohne Baubewilligung soviele Bauten errichten, wie er will?

Gemeinderat 2:

Ja, so ist es.

Befrager:

Aber das verstößt doch klar gegen jegliche Rechtsstaatlichkeit. Wozu gibt es dann überhaupt Bauvorschriften?

Gemeinderat 3:

Wir legen die so aus, wie es uns gefällt.

Befrager:

Ach so, verstehe. Aber in einem anderen Fall, in dem jemand sogar mit Baubewilligung ein Gebäude errichtete, aber mit Abweichungen, da ging die Gemeinde ja bis vors Bundesgericht und zwang den Errichter, für über 300.000 Franken einen Rückbau vorzunehmen?

Gemeinderat 4:

Wie wir schon sagten: Wir legen Baugesetze so aus, wie es uns gefällt. Zudem: Es kommt immer darauf an, wer es ist. Das Recht kann ja schließlich nicht einfach gleichermaßen für jeden gelten, oder?

Befrager:

Aber das stiftet doch Unfrieden, wenn einmal so und einmal so verfahren wird? Und wenn jeder, der schleichend Bauten errichtet, sich nicht an geltendes Recht halten muß?

Gemeinderat 5:

Das spielt für uns keine Rolle.

Befrager:

Und wenn jemand zum Beispiel eine Firma, ein Gewerbe ansiedeln will und in der Gemeinde investieren will? Dann hat er doch gar keine Rechtssicherheit?

Gemeinderat 5:

Jemand, der hier investieren will und sich hier ansiedeln möchte, muß nicht nach irgendwelchen Gesetzestexten gehen. Von solchen Belastungen ist er völlig frei. Denn er muß sich einfach mit uns gutstellen. Nur das sichert ihm Rechtssicherheit zu. Das war schon immer so, auch im Mittelalter. Wir haben da eine lange Tradition!

Befrager:

Verstehe. Wenn aber jemand darüber berichtet, daß Baugesetze einmal so und einmal so ausgelegt werden? Oder darüber was schreibt, daß die Gemeinde Katzas seit Jahren Dossiers einfach verschleppt?

Gemeinderat 1:

Dann teilen wir dem einzigen herrschenden Monopolmedium einfach mit, daß wir rechtliche Schritte gegen denjenigen erwägen, welcher solches behauptet.

Befrager:

Aber wenn es doch stimmt?

Gemeinderat 2:

Das spielt keine Rolle. Denn durch diese öffentliche Äußerung unsererseits steht er ja als Lügner da. Er ist dann so bloßgestellt, daß er schweigen wird. Da bieten wir schon Pajaroli. Wir haben da unsere Leute…

Befrager:

Befürchten Sie denn nicht, daß das Monopolmedium sachlich und neutral berichten könnte, etwa, weil es simpelste journalistische Grundsätze beherzigt?

Gemeindekanzlist:

Wir sind Kunde bei denen. Wenn Sie verstehen, was ich ausdrücken will.

Gemeindepräsident:

Unser Gemeindekanzlist verbietet zudem schriftlich allen möglichen Konkurrenten dieses Monopolmediums, die sich erdreisten, aus amtlich-öffentlichen Mitteilungen der Gemeinde Katzas etwas wiederzugeben, dies zu tun.

Und teilt jedem, der es außer dem Monopolmedium wagt, selbst amtlich-öffentliche Mitteilungen wiederzugeben oder daraus bloß zu zitieren, mit, daß das verboten ist und fordert sie schriftlich auf, Zitate aus amtlichen Mitteilungen sofort zu löschen. Es ist ja wohl klar, was das heißt, oder?

Befrager:

Aber das gibt es ja nicht einmal in China oder Turkmenistan?

Gemeindekanzlist:

Wir sind hier am Berg vom Heinz und nicht in Turkmenistan. Selbstverständlich können wir das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Presserecht auch schärfer auslegen als in solchen Ländern. Bei uns darf man öffentliche, amtliche Mitteilungen nicht einfach so wiedergeben. Das ist dem Monopolmedium vorbehalten und zwar ausschließlich.

Befrager:

Nur, damit ich Sie richtig verstanden habe: Das Presserecht in China oder Turkmenistan finden Sie zu lasch?

Gemeindekanzlist:

Sollte es tatsächlich zutreffen, daß in dort Journalisten einfach ohne besondere Bewilligung aus amtlichen Mitteilungen zitieren dürfen, ist es doch klar zu liberal in punkto Pressefreiheit. Ich meine, denken Sie doch mal nach: Wo kämen wir denn da hin, würden wir soetwas auch bei uns in Katzas tolerieren?

Befrager:

Aber der Berg vom Heinz gehört doch zu einer Genossenschaft mit so einem Eid, wo sowas eigentlich erlaubt ist. Und das Recht der Genossenschaft gilt doch auch am Berg vom Heinz? Zum Beispiel die Pressefreiheit?

Gemeindepräsident:

Nein, das ist falsch. Das haben wir Ihnen doch gerade erklärt. Und demjenigen, der sich erdreistet hat, öffentlich-amtliche Mitteilungen in einer Internetzeitung ebenfalls widerzugeben, dem hat es der Gemeindekanzlist im Auftrag des Gesamtgemeinderats auch schriftlich verboten. Er hält sich allerdings dreisterweise an das Verbot nicht und wir werden daher sehen, welche weiteren Maßnahmen wir gegen ihn einleiten werden. Wir haben da sehr viele Möglichkeiten…

Befrager:

Nochmal zum Punkt Recht zurück: Wie entscheiden Sie überhaupt, wer welches Recht bekommt?

Gemeinderat 1:

Wir würfeln.

Befrager:

Das ist nicht Ihr Ernst?

Gemeinderat 4:

Doch, doch, diese Mühe machen wir uns durchaus. Daran können Sie auch erkennen, wie vorbildlich sachlich und vor allen Dingen, wie unparteiisch neutral wir hierbei vorgehen. Wir überlassen das Recht dem Zufall.

Befrager:

Das ist wirklich sehr sachlich und unparteiisch, in der Tat.

Gemeinderat 2:

Bei uns sind sozusagen die Gerechtigkeitsgöttin Iustitia und die Glücksgöttin Fortuna unter einen Dach. Das ist doch perfekt.

Befrager:

Also gibt es immer 50:50-Entscheidungen?

Gemeinderat 4

So einfach ist es nicht immer. Bei mehr als zwei Beteiligten müssen wir anders vorgehen.

Befrager:

Was tun Sie dann?

Gemeinderat 5:

Dann nehmen wir eine bewährte alternative Methode. Wir ziehen Zündhölzli. Oder wir machen eine Tombola.

Befrager:

Eine Tombola?

Gemeinderat 1:

Ja, doch als verantwortungsvoll mit Steuergeldern umgehende Gemeinde nehmen wir dazu ein altes Einmachglas. Der Gemeindekanzlist beschriftet die Zettel und anschließend – nach Schütteln des Einmachglases durch den Kanzlisten (eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe), findet die Ziehung durch die Gemeinderäte statt.

Befrager:

Aber da könnte man doch genausogut Lotto spielen, wenn es ums Recht geht.

Gemeindepräsident:

Ganz so einfach ist es leider nicht. Denn wir können nicht immer so vorbildlich sachlich und unparteiisch vorgehen. Es gibt da eine kleine Einschränkung.

Befrager:

Und die wäre?

Gemeindepräsident:

Sehen Sie, es gibt vereinzelt Leute, die sind ganz übel. Die kommen nicht mal von da und hängen wohl sogar  zumindest gemäß dem, was man so liest – der größten Volkspartei an, die in der Genossenschaft den größten Wähleranteil stellt. Hier ist aber ein ausgewiesenes CVP-BDP-Gebiet. Es ist doch eine Frechheit, daß solche Leute überhaupt wagen, den Mund aufzumachen, wenn sie überhaupt hierher-kommen. Da muß man von vornherein und natürlich auch mit allen Mitteln direkt einen Riegel schieben.

Befrager:

Und wenn solche Leute das irgendwann nicht mehr hinnehmen?

Gemeinderat 4:

Das macht nichts. Wir zermürben solche Leute systematisch.

Befrager:

Wie gehen Sie hierbei vor?

Gemeinderat 1:

Wir verweigern das Recht. Ganz einfach.

Befrager:

Das müssen Sie mir erklären. Was bedeutet das denn konkret?

Gemeindepräsident:

Ein Beispiel, das Sie ja doch schon selbst ansprachen: Der Fall mit den illegal ohne Grenzbaurecht schleichend erstellten Bauten. Wir machen einfach über Jahre hinweg schlichtweg gar nichs. Und wenn der Betroffene mal nachfragt, schicken wir mal ein Mail, die Gemeinde Katzas müsse rechtliche Abklärungen vornehmen. Oder schreiben so Sachen, die illegal errichteten Bauten direkt auf der Grenze, die ja nach amtlicher Einstufung als Bauten auch eine Wertminderung des Nachbargrundes darstellen, würden ja gar niemand stören. Wir tun einfach gar nichts. Wir bringen solche Leute zum Durchdrehen. Sehen Sie, in dem Fall gibt es nun im 3. Jahr weder einen abschlägigen Bescheid seitens der Gemeinde, noch einen Bescheid, daß sie handelt.

Befrager:

Aber ist es nicht zutiefst verwerflich, als zuständige und verantwortliche Gemeinde über Jahre hinweg einfach Recht zu verweigern? Sowas geht doch eigentlich nicht.

Gemeinderat 1:

Selbstverständlich geht das. Das sehen Sie doch. Ich könnte Ihnen zahlreiche weitere Beispiele nennen, wo wir genauso verfahren.

Befrager:

Wie man hörte, soll es aber sogar Leute geben, die öffentliche Wege um 2/3tel verschmälern, dort Eisenbahnschwellen einbringen, Gewächse pflanzen und die öffentliche Wege der Gemeinde wie eine private Auto-Auffahrt pflästern und sogar Fallstricke dort einbringen. Was unternehmen Sie denn  in solchen Fällen, wenn sie Ihnen aufgrund amtlicher Vermessungen und aufgrund dessen, daß sowas ja sichtbar ist, bekannt sind?

Gemeinderat 3:

Wir schauen wenn wir wollen einfach weg, wenn jemand sowas macht. Darin sind wir sehr gut. In der ganzen Talschaft und darüberhinaus sind wir bereits dafür bekannt.

Befrager:

Und wenn jemand das bei der Gemeinde vorbringt?

Gemeinderat 3:

Dann ignorieren das einfach.

Befrager:

Aber wenn sich jemand deswegen schriftlich beschwert, weil er am Begehen des öffentlichen Weges gehindert wurde?

Gemeinderat 4:

Das macht nichts. Wir teilen ihm dann einfach mit, daß wir sein Schreiben “zur Kenntnis genommen haben”.

Befrager:

Und sonst unternehmen Sie nichts?

Gemeinderat 5:

Natürlich nicht. Wir sind bisher mit dieser Strategie immer gut gefahren.

Befrager:

Aber das verstößt doch wirklich gegen jegliche Rechtsstaatlichkeit?

Gemeinderat 1:

Sie immer mit Ihrer albernen Rechtsstaatlichkeit. Wir entscheiden selbst, was Recht ist und was nicht. Und da wir selbst entscheiden, was Recht ist, kann es freilich auch gar keinen angeblichen Verstoß gegen Rechtsstaatlichkeit geben. Wir bestimmen ja eigens, was Recht ist je nach Fall. Jetzt sagen Sie nicht, daß das keine elegante Lösung ist.

Befrager:

Aber trotzdem: Die Baugesetze und anderen Gesetze müßten doch eigentlich für alle gleich gelten, oder nicht?

Gemeinderat 2:

Nein, wann die Gesetze gelten, das entscheiden wir. Sehen Sie, genau das hatten wir Ihnen doch gerade erklärt.

Befrager:

Und wenn solche Sachen in der Presse kommen? Könnte das nicht negativ wirken?

Gemeinderat 2:

Es gibt hier nur eine Monopolpresse und wir sind ein guter Kunde von denen.

Befrager:

Verstehe. Sehr aufschlußreich.

Gemeinderat 4:

Sehen Sie, so ist das.

Befrager:

Verstehe. Kennen Sie das Wort “Aufsichtsbeschwerde”? Bzw. sagt Ihnen die Begrifflichkeit der “Aufsichtsbeschwerde wegen Rechtsverweigerung” etwas?

Gemeinderat 3:

Nein, das kennen wir nicht, wollen wir auch nicht kennen und das interessiert uns auch nicht.

Befrager:

Aufsichtsbeschwerden wegen Rechtsverweigerung sind ja auch sehr selten, weil es selten vorkommt, daß Gemeinden einfach Recht verweigern. Insofern ist es natürlich verständlich, daß Sie das nicht unbedingt kennen.

Gemeinderat 2:

Ich weiß nicht, was Sie meinen.

Befrager:

Naja, wenn die Gemeinde Katzas wegen solch einem seltenen Rechtsakt schweizweit in die Presse kommen würde, würde sie vielleicht sogar Thusan toppen, was ja wegen Jugendkriminalität schweizweit bekannt wurde. Wenn sogar eine Gemeinde selbst das Recht bricht bzw. wegen Rechtsverweigerung Schlagzeilen macht, dann würde sie ja immerhin auch schweizweit bekannt. Allein, weil sowas ja so selten ist.

Gemeinderat 2:

Das kann auch positive Seiten haben: Schweizweit bekannt zu werden könnte ja auch Vorteile aufweisen.

Befrager:

Angeblich soll ja der Anwalt eines Betroffenen Aufsichtsbeschwerde wegen Rechtsverweigerung eingereicht haben. Glauben Sie wirklich, daß das eine gute Werbung für eine Gemeinde ist?

Gemeinderat 4:

Ich stimme Gemeinderat 2 absolut zu. Das ist positiv. Wenn sowas bekannt wird, schreckt es auch rechtschaffene Leute ab, hierherzuziehen oder gar noch Firmen hier zu gründen. Wir wollen hier unser eigenes Süppchen kochen und uns nicht wegen solcher Leute um geltendes Recht scheren müssen. Sehen Sie sich mal die Geschichte des Veltlins an und die Gründe, warum es zu einer Abspaltung kam.

Befrager:

Sie haben recht, das könnte wirklich abschreckend wirken.

Gemeinderat 2:

Ich warne Sie: Schreiben Sie bloß keine Sachen, die uns nicht gefallen. Wir haben hier lange Tradition, unter anderm mit Hexenverbrennungen. Das gilt auch für Männer, da halten wir noch ganz andere Sachen parat.

Befrager:

Danke vielmals für den wertvollen Hinweis. Wir danken Ihnen für dieses lehrreiche Gespräch und Ihre Zeit.

Das fiktive Gespräch bzw. “interview” mit dem fiktiven Gemeinderat der fiktiven Gemeinde führte Remo Maßat. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Handlungen sind selbstredend rein zufällig. In dem fiktiven Gespräch wurde – trotzdem es sich hier größtenteils um Angelegenheiten eines Baudepartments handelt, der Gesamtgemeinderat angefragt. Weil es sich so verhält, daß auch Angelegenheiten des Baufachs vom Gesamtgemeinderat gemeinsam beschlossen werden.

Und hier noch das Video dazu:

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