Rund 150 staatliche und private Kinderheime gab eszwischen den 1950er und den 1980er Jahren in Graubünden – eine im nationalen Vergleich sehr hohe Zahl. Das Domleschg ist heute noch reich an Heimen aller Art, wobei die Zustände heute – hoffentlich – anders sind.

Bis ins Jahr 1981 wurden in Graubünden Menschen verdingt, zwangsadoptiert, administrativ versorgt oder zwangssterilisiert. Die Betroffenen hatten häufig keine oder ungenügende Rechtsmittel, um sich zu wehren.

Eine vom Kanton in Auftrag gegebene Studie ergab, daß massive Schläge, Essensentzug, Einsperren oder Herabwürdigen gängige Praktiken waren.

Bild: Staatsarchiv Graubünden (Großansicht: Bild anklicken)

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Und in 10% der Kinderheime konnte auch anhand von Akten sexueller Mißbrauch nachgewiesen werden, wobei die Dunkelziffer hoch ist. Denn wer erfaßte sowas schon in Akten, außer es kommt etwas trotzdem heraus und es muß dokumentiert werden?

Ebenso wie die Fremdplacierung von Kindern wurden die fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen bei jenen Erwachsenen angewandt, welche als «liederlich», «arbeitsscheu» oder «gefährdet» eingestuft wurden.

Die meisten von ihnen landeten in der Arbeitsanstalt Realta in Cazis im Domleschg bis in die 80er-Jahre.

Geschichte

1840 hatte der Kanton mit der Zwangsarbeits-Anstalt Fürstenau in Betrieb genommen, die 1855 in die Arbeitsanstalt Realta in Cazis übersiedelte.

Alles müsse im historischen Zusammenhang gesehen werden: Die gesellschaftlichen Werte sind heute anders.Und es gibt Gesetze zur Aufarbeitung:

– Seit 2014 gibt es das Bundesgesetz über die Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen

– Seit Anfang April 2017 das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen und Fremdplacierungen

Gedenkanlaß

Ein Gedenkanlaß findet am Mittwoch, 22. November 2017, beim Waldhaus Stall in Chur statt. Speziell die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen und Fremdplatzierungen sind herzlich zu diesem Anlaß eingeladen.

Im Rahmen dieses Gedenkanlasses will sich die Regierung bei den Opfern für das entstandene Leid entschuldigen und ein Zeichen der Erinnerung setzen.

Bis im Jahr 1981 wurden in der Schweiz und in Graubünden Kinder, Jugendliche und Erwachsene Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen und Fremdplatzierungen.

Viele Betroffene haben dabei großes Leid erfahren, das ihr Leben maßgebend geprägt hat und noch bis heute prägt. Die Regierung will nun die Opfer um Entschuldigung bitten und einen Beitrag zur Anerkennung der schwierigen Umstände leisten. Sie hofft deshalb, daß viele Betroffene am Gedenkanlaß teilnehmen.

Zeichen der Erinnerung

Für viele Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen und Fremdplatzierungen (FSZM), die teilweise bis heute unter den Folgen ihrer Erlebnisse leiden, ist es ein Anliegen, daß das Geschehene nicht in Vergessenheit gerät.

Ein Zeichen der Erinnerung soll der Opfer gedenken, soll helfen, dass das erlittene Leid und das geschehene Unrecht im Bewußtsein der Öffentlichkeit bleiben und sensibilisieren, damit solches Unrecht nie wieder geschieht.

Für die Schaffung eines solchen Zeichens der Erinnerung wurde eine Betroffenen- und Fachpersonengruppe eingesetzt, mit dem Auftrag, der Regierung Vorschläge für ein würdiges und geeignetes Zeichen der Erinnerung im Kanton zu unterbreiten.

Gedenkanlaß für die Opfer

Regierungsrat Jon Domenic Parolini wird im Namen der Regierung den Gedenkanlaß durchführen und das Zeichen der Erinnerung ankündigen. Der Gedenkanlaß findet am Mittwoch, 22. November 2017, 10.00 Uhr beim Waldhaus Stall in Chur statt. Der Anlaß dauert ungefähr eine Stunde. Im Anschluß daran findet ein Apéro statt.

Heute

Heute können sich Betroffene fürsorgerischer Zwangsmaßnahmen im Kanton Graubünden an folgende Institutionen wenden:

Insaßen der Arbeitsanstalt Realta in Cazis im Domleschg bei der Kartoffelernte (Staatsarchiv Graubünden)

Insaßen der Arbeitsanstalt Realta in Cazis im Domleschg bei der Kartoffelernte (Staatsarchiv Graubünden)

Bilder: Staatsarchiv Graubünden

Die gesellschaftlichen Werte sind heute andere. Seit 2014 ist das Bundesgesetz über die Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen in Kraft, seit Anfang April 2017 auch das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplacierungen.

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